Ich bin sonst nicht jemand der schnell auf technologische Hypes aufsteigt. Meistens sehe ich eher die dadurch resultierenden negativen Auswirkungen als die angeblich tollen neuen Optionen. Aber von In-vitro-Fleisch bin ich voll begeistert! In Vino Veritas? Nein um Wein gehts da nicht, aber um Fleisch kultiviert in Petrischalen.
Es wachsen weltweit nicht genug Erdbeeren, um all die Erdbeerjoghurts und -Marmeladen herzustellen
Neu ausgedachtes Essen
Veränderungen in unseren Essensgewohnheiten sind immer sehr heikel und es dauert bis diese auch gesellschaftlich anerkannt werden. Vor allem wenn es um Erweiterungen oder Nachahmungen von vorhandenen, natürlichen Lebensmitteln geht, tun wir uns schwer diese zu akzeptieren. Es schwingt immer das Gefühl des Unnatürlichen mit. Und was unnatürlich ist ist skurril, besonders wenn etwas so tut, als wäre es etwas anderes als es eigentlich ist. Meistens erzeugen diese neuen Produkte eher ein Schmunzeln oder sogar Ekel, aber selten den Wunsch sie zu essen. Würfelförmige Wassermelonen wären bei mir im Bereich des ersteren, hart gekochte Eier-Würste schon eher im zweiten Bereich. Und dann war da noch das Erdbeeren-Ersatz Dilemma: „Es wachsen weltweit nicht genug Erdbeeren, um all die Erdbeerjoghurts und -Marmeladen herzustellen“, sagte meinem jungen Ich eine Lehrerin. Das war zwar ein ziemlicher Schock war, jedoch auch sehr gut nachvollziehbar. Und so starben meine damaligen Lieblings Süßspeisen für mich, denn wer will schon Holzspäne oder Pilze essen?
Auch im Segment Fleisch gibt es viel Fortschrittsdrang, vor allem Fleischersatz für Vegetarier und Veganer entwickelt sich stetig weiter. Und jetzt wird an etwas ganz neuem gearbeitet: In-vitro-Fleisch. Skurril oder vollkommen logischer nächster Schritt?
Was ist das eigentlich?
In-vitro-Fleisch ist kein Fleischersatz, es ist wirklich richtiges Fleisch aus Zellen, Muskeln und Fett, nur dass es außerhalb des Tieres in einer Petrischale wächst und somit kein Tier dafür sterben muss. Zuerst holt man sich mittels Biopsie aus dem gewünschten Tier ein paar Zellen. Dieses darf dann friedvoll weiter leben. Die Zellen werden hingegen in ein steriles Labor inklusive Bioreaktor gebracht. Dort wachsen sie mithilfe von verschiedenen Biotechnologie-Methoden weiter, ungefähr so wie Haut die für schwere Brandverletzungen erzeugt wird. Aus einer Stichprobe können ungefähr 9 Tonnen Fleisch kultiviert werden. Wenn ihr ganz genau wissen wollt wie das funktioniert, dann rate ich euch diesen sehr detaillierten Artikel durchzulesen.
Und weil es im sterilen Labor gezüchtet wurde, ist dieses neuartige Fleisch weit weg von Krankheitserregern, weshalb es auch keinen Grund gibt Antibiotika vorsorgehalber anzuwenden. Ebenfalls kann mit dieser Methode gezielt das von Konsumenten gewünschte Fleisch erzeugt werden, ohne Abfallprodukte wie Haare, Knochen oder die nicht so beliebten Innereien.
Sowohl die dahinterliegende Technologie als auch die Idee des Fleisches aus dem Labor sind eigentlich nichts neues. Vor kurzem, genauer gesagt 2013, durfte allerdings der erste In-vitro-Burger getestet werden, der in den Niederlanden rund um das Team von Mark Post hergestellt wurde. Inzwischen gibt es schon mehrere Unternehmen und Start-Ups, die daran arbeiten ein umweltfreundliches und massentaugliches Produkt auf den Markt zu bringen. Die Prognosen spalten sich hier natürlich, aber meiner Meinung nach können wir damit rechnen in weniger als fünf Jahren die Möglichkeit zu bekommen In-vitro-Fleisch als „Normalsterblicher“ essen zu können.
Wozu das Ganze?
Zurzeit verwenden wir sogar 26 % der Landfläche der Erde um unseren Fleischkonsum zu ermöglichen. Dieser soll sich außerdem zwischen den Jahren 2000 und 2050 mehr als verdoppeln. Die Nutztierhaltung produziert bis zu 20 % des weltweiten Treibhausgases, vor allem die Rinderhaltung ist ein großes Problem für unsere Umwelt. Diese Situation wollen die Protagonisten hinter der In-vitro-Fleisch Entwicklung – zurzeit nicht mehr als 100 weltweit verteilt – mithilfe der Fortschritte der Biotechnologie verbessern und damit unseren Fleischkonsum umweltfreundlicher gestalten. Ihr erstes Ziel ist es das massenhaft produziertes Fleisch, welches auch stark industriell verarbeitet wird, zu ersetzen. Dafür hat die Methode schon jetzt großes Potenzial. Im nächsten Schritt soll auch qualitativ hochwertiges Fleisch wie Steak, das komplizierter nachzubauen ist, ersetzt werden. Man soll auch selbst die Möglichkeit bekommen zuhause oder in gemeinschaftlich Zentren sein eigenes Fleisch kultivieren können. Technologisch möglich wäre es auch eine Mischung aus verschiedene Tierarten zu züchten wie z.b ein Tuna-Steak mit Reh Geschmack, wie wir es in der Folge #11 unseres Podcast beschrieben haben.
We shall escape the absurdity of growing a whole chicken in order to eat the breast or wing, by growing these parts separately under a suitable medium.
– Winston Churchill
Sogar Winston Churchill war schon 1931 der Meinung, dass es einen Zeitpunkt geben wird, wo wir das Töten von Tieren zum Zweck der Ernährung abartig finden werden. Auf unser Genussbedürfnis nach Fleisch sollten wir deswegen aber nicht verzichten müssen. Stattdessen sah er eine Zukunft in der wir Fleisch im Labor mithilfe von Mikroben erzeugen, auf die gleiche Art wie Bäcker Hefe verwenden. Aus seiner damaligen Sicht wären wir in 50 Jahren (1981) so weit gewesen.
So viele Fragen
Wenn wir diesen Entwicklungen auf unserer Zukunfts-Timeline folgen, dann erkennt man schnell, dass wir in einem späteren Moment gar keine Massentierhaltungen mehr benötigen werden. Lediglich ein paar Exemplare die ihr Leben frei genießen können und ab und zu mal gepiekst werden. Vielleicht werden sie in einem höchst gesicherten Naturschutzgebiet leben, oder wie es sich Mark Post vorstellt: als Grätzel-Haustiere gehalten werden, um die sich die ganze Nachbarschaft gemeinsam kümmert.
Eine weitere Frage die mich von Anfang an verfolgt ist: Werden Vegetarier (die aus ethischen Gründen kein Fleisch essen) In-vitro-Fleisch essen?
Aus einer Stichprobe können ungefähr 9 Tonnen Fleisch kultiviert werden.
Außerdem kann es auch eine Lösung für das Problem Ernährung im Weltall sein. Vor allem für den auserwählten Kreis rund um Elon Musk, die sich auf den Mars davonmachen werden. Und falls sie keine Tierzellen mehr haben, können sie noch immer ihre eigenen Körper gegenseitig pieksen. Ob diese Form des Kannibalismuses in ferner Zukunft ethisch verkraftbar sein wird, ist wohl auszuschließen – die Möglichkeit ist jedoch geschaffen nun Menschenfleisch auszuprobieren, ohne dass man jemanden töten müsste. Oder wäre das überhaupt das nächste Level nach dem Veganismus, dass man sich nur noch von Fleisch kultiviert aus den eigenen Zellen ernährt?
Was passieren muss damit In-vitro-Fleisch Erfolg hat
Damit das Fleisch aus dem Labor Erfolg hat, sind zwei Ziele zu erreichen. Als Erstes muss es mit dem „echten“ Fleisch ident sein – Textur, Geschmack und Geruch müssen gleich sein, sonst werden viele nicht das „falsche“ Fleisch essen wollen. Und als Zweites ist der Preis wichtig, denn wenn dieser höher als der bisherige Fleischpreis ist, wird sich die Masse nicht überzeugen lassen. Bis die Forschung soweit ist, wird es noch eine Weile dauern, doch das Ziel ist greifbar – in den letzten 5 Jahren konnte der Preis für einen Burger von 250.000 auf 9 Euro gesenkt werden. Jetzt soll noch Fast Food Ketten Preisniveau erreicht werden. Danach, in ferner Zukunft, sind auch gesetzliche Reformen sicherlich zu erwarten: wie ein Verbot für die Massentierhaltung oder eine künstliche Senkung des Preises, wie es zurzeit auch bei normalem Fleisch passiert. Um die gesellschaftliche Akzeptanz mache ich mir persönlich eigentlich weniger Sorgen, auch wenn der Aufschrei zurzeit noch sehr groß ist und Ekel als Reaktion dominiert. Die Idee wurde in unseren Köpfen platziert und mit der Zeit – und einer guten Marketingstrategie – werden wir uns daran gewöhnen und es als ganz normal empfinden.
Ich freu mich auf jeden Fall schon in meinem Lieblings Burger-Lokal nicht nur regionales und nachhaltiges sondern auch kultiviertes Fleisch essen zu können. Mal schauen ob sie dazu bereit sein werden. Ich sag dazu nur „Guten Appetit und omnom…“ 😉
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