Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie aufregend es damals war, die ersten Mitarbeiter einzustellen. Ich kam mir groß und stark vor. Ich dachte es reicht, dass ich erfolgreicher Unternehmer bin, dann werden mir die Angestellten schon zu Füßen liegen. Ich habe sogar eine Art Machtgefühl in mir gespürt, der erhabene Arbeitgeber. In der Euphorie und Anspannung der Gründungsphase sind die Emotionen auch intensiv. Das Blatt hat sich in den letzten 7 Jahren gewendet, ich bin dankbar für die lehrreiche Zeit. Heute habe ich meinen Thron komplett verlassen und bin ein ebenbürtiges Teammitglied. Ich bin Team-Dienstleister geworden. Coach, Zuhörer und Mentor. Jetzt ist alles viel ruhiger, entspannter und vor allem fühle ich mich wohl und komplett. Gott sei Dank bin ich kein Superhero, sondern einfach nur ein Mensch geblieben. Aber erstmal von Anfang an.
Superhero Chef
Da ich aus einer Konzernwelt komme, wollte ich naturgemäß ähnliche Mechanismen und Tools anwenden. Hierarchie, Zuständigkeiten, Struktur, Prozesse, um einige davon aufzuzählen. Am entworfenen Organigramm war ich an oberster Stelle und unter mir die Mitarbeiter. So habe ich es erfahren und gelernt. Ich gebe den Ton an und kontrolliere. Was ich damals noch nicht wusste, sind die überwiegend negativen Auswirkungen. Man macht die Mitarbeiter dadurch klein und reduziert sie auf ihre Zuständigkeiten. Für die Mitarbeiter ensteht eine Komfortzone in die sie gesteckt werden und können darin nie über den Tellerand sehen. Viel schlimmer ist aber das Konfliktpotential einer Hierarchie. Die Erwartungshaltungen sind, dass „oben“ ein Superhero sitzt und „unten“ wird aufgrund der Erwartungshaltungen gegen oben ständig rebelliert und gekämpft. Ich wollte dieser Superhero sein, habe aber schnell gemerkt, dass ich das nicht bin und eigentlich gar nicht sein will. Umgekehrt ist ein typischer Glaubenssatz von Mitarbeitern in einer Hierarchie: „Wenn ich da oben wäre, würde ich alles anders machen..“ So dreht man sich in einen Erwartungshaltungs-Teufelskreis und kämpft gegeneinander. Es entsteht viel Rauschen, Grübeln und negative Energie. Unser eigentliches holistisches Ziel, „Gemeinsam und vernetzt sind wir stark“, war hier noch weit weg. Klar wir haben uns trotzdem alle sehr gut verstanden, das Klima war gut. Gemeinsam kochen, wuzzeln usw. aber trotzdem viel Kampf. Ich habe diese negative Energie (die übrigens in 90% der Firmen herrscht) nicht mehr ausgehalten. So ein Unternehmen wollte ich nicht führen.
Reden, Reden, Reden
Meine grundsätzliche Lösung für dieses Konfliktpotential war die Herbeischaffung einer intensiven Gesprächskultur. Ich habe die Leute nahezu gezwungen lange und offene Dialoge mit mir zu führen. Missverständnisse überall. Mein Motto: Ein Arbeitsverhältnis ist auch eine Beziehung. In Beziehungen ist miteinander reden das oberste Gebot. Auch hier bin ich aber auf große Probleme gestoßen. Denn geredet habe hauptsächlich ich, die Mitarbeiter waren mit direkten Gesprächen überfordert. Sie haben sich nicht getraut offen zu sein. Außerdem kann das nicht jeder auf Anhieb. Schließlich geht es um einen Job und eventuelle weitere Probleme. Es kann auch sein, dass man bisher in seinem Leben Offenheit nicht praktiziert hat. Ich bin noch dazu ein Typ der sehr direkt und offenherzig ist, aber umgekehrt über Aussagen sehr nachdenkt und sich schnell mal angegriffen fühlt. Austeilen konnte ich gut, aber einstecken nicht. Weil mir die Firma so sehr am Herzen lag und besonders weil ich mich extrem bemüht habe, ein perfekter Chef zu sein. Zu viel bemüht ist auch daneben würde ich sagen. Somit habe ich mir hauptsächlich den Mund trocken geredet. Natürlich sind wir dadurch gemeinsam weitergekommen, wir haben hier erst richtig begonnen miteinander zu reden. Aber wertfreies Zuhören war lange noch nicht möglich. Ich hab mich noch immer in der „starken“ Chefposition gesehen und habe offenes Feedback gleich als Komplott wahrgenommen. Die Mitarbeiter haben sich umgekehrt auch in einer Verteidigungsposition gesehen. Vorteil: Wir haben endlich miteinander geredet.
Chef, ein Unwort
Mir ist mein Job der Führung immer wichtiger geworden. Intensiv habe ich den Ehrgeiz entwickelt eine Spitzen Führungskraft zu werden. Die beste der Welt. Alle Probleme oder Herausforderungen in meinem Leben wandle ich generell schnell zu Challenges um. Ich jammere zwar eine Phase lang, entwickle aber dann einen unstillbaren Lösungsdrang. So bin ich aufgewachsen und bis jetzt ist mir das ganz gut gelungen. Wenn man neben der Führungsrolle gleichzeitig der Unternehmer ist, war das aber gar kein leichtes Unterfangen. Mir wurde die Führungsaufgabe so dermaßen wichtig wie eine Hassliebe. Schlaflose Nächte und Wochenenden ohne Erholung waren die Folge. Ein scheinbar unlösbares Problem. So viele Individuen, die ihren Rucksack von daheim oder ihrer Kindheit mitnehmen, prallen aufeinander. Ich habe endlos mit Mitarbeitern diskutiert und sogar teilweise gestritten. Ich wollte ihre Zuneigung, gleichzeitig Respekt für meine Autorität. Auf meiner Seite alles sehr emotional aufgeladen. Es war eine schmerzvolle und schlimme Zeit. Ich wollte unbedingt ein super Chef sein. Genau dort lag das Problem. Es gibt keinen super Chef, das ist unmöglich. Es gibt auch nicht den perfekten Mitarbeiter. Man kann den Chefjob gar nicht „richtig“ machen. Ehrgeiz war hier der völlig falsche Zugang.
Aus, Ende, ich will nicht mehr
Dann der Tiefpunkt: Ich wollte keine Mitarbeiter mehr haben. Ich wollte aufhören ein Chef zu sein. Zu mühselig der Weg. Die Firma war sehr erfolgreich, aber ich habe mich nicht wegen dem Geld selbständig gemacht. Ich wollte einen erfüllenden Alltag. Ich machte Führungsseminare und hab mich mit Büchern zu diesem Thema eingedeckt. Nichts hat geholfen. Ich war ständig frustriert weil ich gesehen habe, dass so viele Baustellen vor mir liegen um ein toller Chef zu sein. Aus lauter Frust habe ich plötzlich begonnen, meinen Schmerz mit den Mitarbeitern zu teilen. Ich habe Schwäche gezeigt. Ich habe allen erzählt, dass ich aufhören will und warum. Ich habe ihnen erzählt, dass ich kein Superhero mehr sein will. Ich will einfach nur meinen Job machen und meine Talente und Fähigkeiten ausleben. Ich habe alle Schmerzen mit ihnen geteilt. Das war ein großer und wichtiger Schritt.
Dann ist etwas ganz Essentielles passiert: Wir haben unsere Masken abgenommen, um echt und ehrlich zu werden.
Gemeinsam statt einsam
Meine Chefrolle ist einsam geworden. Ich war früher immer ein Teamplayer und hatte sehr viel Spaß und Freude mit meinen Kollegen. Das habe ich sehr vermisst. Ich wollte wieder ein Teamplayer, aber trotzdem Coach und Mentor sein. Interessanterweise ist sehr schnell rausgekommen (bei einer kleinen Organisationsaufstellung), dass das Team mich auch gerne auf Augenhöhe hätte. Das habe ich nicht erwartet. Was war zu tun, damit wir ein echtes gemeinsames Team werden? Geholfen hat uns am allermeisten (bis heute), dass wir eine sehr offene Gesprächskultur erlernt haben. Das musste ich lange vorleben. Wir haben erlernt neutral und direkt miteinander zu kommunizieren. Eine Kultur bei der alles auf den Tisch kommt, ohne, dass sich jemand emotional angegriffen fühlt. Das ist Gold wert. Dann ist etwas ganz Essentielles passiert: Wir haben unsere Masken abgenommen, um echt und ehrlich zu werden. Jeder hat seine Bedürfnisse und Schmerzen mit den anderen geteilt. Man kann sich gar nicht vorstellen wie viele Spielchen und Mauern in einem Arbeitsverhältnis im Weg sind. Wir haben uns in der Arbeitswelt Muster und Verhaltensweisen angeeignet, die sehr weit von Authentizität und Ehrlichkeit sind. Wir tragen dabei so viele interne Kämpfe und Missverständnisse aus, die uns sehr im Weg sind, ein glückliches Arbeiten zu gestalten. Dabei ist Ehrlichkeit der einfachste Schlüssel zu allem für mich geworden. Ich verstecke mich nicht mehr, ich habe nicht mehr das Gefühl, ein Superhero zu sein. Ich bin einfach nur Jürgen. Mit allen Schwächen und Talenten, die ich mitbringen kann. Kurzum: Weg vom Ego zum Dienstleister.
Eine helfende Hand zu sein ist befriedigender als Egoverhalten.
Wertfreies Zuhören, Ehrlichkeit und weg vom Ego
Alle Führungsseminare, Bücher und Coachings haben mir etwas gebracht. Geholfen hat mir bis heute am meisten die persönliche Erfahrung. Den Weg muss jeder für sich gehen. Besonders wie ich begonnen habe, ehrlich zu mir selbst zu sein. Das System Mitarbeiter – Chef ist eine unglaubliche Spiegelsituation. Ein Spiegel für den ich heute sehr dankbar bin. In meiner Persönlichkeit habe ich die Chance mich weiterzuentwickeln und zu mir selbst zu finden. Ich habe mehr das Bedürfnis entwickelt den anderen zu dienen und zu helfen, als Macht auszuüben. Eine helfende Hand zu sein ist befriedigender als Egoverhalten. Das Team hat begonnen selbstständig und einvernehmlich zu agieren. Gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz ermöglichen Spitzenleistungen. Ich habe begonnen zu meditieren und mich in Achtsamkeit zu üben. Demut, Dankbarkeit versus Unternehmertum, wie passt das zusammen? Sehr gut, denn ich muss nicht mehr kämpfen, sondern kann meinen Tag so gestalten wie es erforderlich ist. Denn gemeinsam sind wir stark.