Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Treffender kann ich den Zustand nicht beschreiben, den ich empfinde, wenn ich vor einem gefühlten Mount Everest an Konsummöglichkeiten stehe und mich einfach nicht entscheiden kann. Bei diesen alltäglichen Entscheidungskämpfen versuche ich mich darauf zu besinnen, dass ich als Homo oeconomicus die Möglichkeit habe, die vorhandenen Alternativen sorgfältig abzuwägen und dann die nutzbringendste zu wählen. Komischerweise ist das, was schlussendlich in meinem Einkaufskorb landet, meist alles andere als die vernünftigste Wahl. In solchen Situationen zweifle ich an meiner Willenskraft und bin irritiert darüber, wie gekonnt ich mich selbst überliste.
„Ein Mensch kann zwar tun was er will, aber nicht wollen was er will“ (Zitat von Arthur Schopenhauer)
Nach reiflicher Recherche weiß ich nun zumindest, dass ich mit meinem Hang zu unbewussten Kaufentscheidungen nicht alleine bin. Laut Hans-Georg Häusel, Psychologe und Vorstand von Nymphenburg Consult, treffen wir 70-80% unserer Entscheidungen unterbewusst. Der amerikanische Marketing-Soziologe Gerald Zaltman spricht sogar von einem 95%igen Entscheidungsanteil, der vom Autopiloten getroffen wird. Doch wer ist dieser Autopilot und wer gibt ihm das Recht für mich zu entscheiden? Man kennt ihn auch noch unter dem Namen Bauchgefühl und er sitzt in Wahrheit gar nicht im Bauch, sondern im Kopf. Die Rede ist vom limbischen System das für die Steuerung von Emotionen zuständig ist, Einfluss auf das Gedächtnis und den Antrieb hat und auch der Sitz vom Belohnungs- und Bestrafungszentrum ist. Besonders wichtig ist die Informationsbewertung die im limbischen System stattfindet. Denn erst durch die emotionale Deutung und den Abgleich mit dem Belohnungs- und Bestrafungszentrum bekommen die wahrgenommenen Stimuli eine Bedeutung. Darum gelten die Bereiche die hauptsächlich mit der emotionalen Verarbeitung beschäftigt sind auch als die eigentlichen Machthaber im Gehirn.
Laut dem US-Neuromarketingexperten Dan Hill treffen Menschen ihre Entscheidungen emotional und rechtfertigen sie mit dem Verstand. Doch warum ist dieses Unbewusstsein so vorherrschend im Leben eines jeden Menschen? Die Wahrnehmungskanäle einer Person werden tagtäglich mit ca. 11 Millionen Bits an Informationen bombardiert, von denen aber nur 20-40 Bits bewusst verarbeitet werden können. Mit all den anderen Bits ist das Bewusstsein schlichtweg überfordert. Trotzdem werden sie vom Organismus aufgenommen und dieser führt die motorische Koordination des Körpers, das Abrufen von vergangenen Erfahrungen, das Einleiten von Handlungen und vieles mehr ohne die bewusste Teilhabe der betroffenen Person durch. Des Weiteren ist Bewusstsein ein Energiefresser. Das Gehirn verbraucht mit einem Gewichtsanteil von nur 2%, 20% der gesamten Körperenergie durch bewusstes und intensives Nachdenken. Daher kommen dem Körper Energiesparmaßnahmen in Form von unbewussten Prozessen nur gelegen.
„Bewusstsein ist eine PR-Aktion unseres Gehirns, damit wir glauben wir hätten auch noch etwas zu sagen.“ (Zitat von Allan Snyder)
Wenn ein Konsument also etwas kauft und das Gefühl hat diese Entscheidung bewusst getroffen zu haben, ist das laut Hirnforschung eine Benutzer-Illusion. Denn Kaufentscheidungen werden hauptsächlich „aus dem Bauch heraus getroffen“.
Die Disziplin Neuromarketing hat es sich zur Aufgabe gemacht diese unbewussten und emotional gesteuerten Prozesse im Gehirn zu erforschen und herauszufinden wie man Werbebotschaften für unser Gehirn optimieren kann. Indem Forscher mittels funktioneller Magnetresonanztomographie, kurz fMRT, in die Köpfe der Konsumenten schauen, wird schon seit mehreren Jahren versucht der Macht des limbischen Systems auf den Grund zu gehen.
Dabei werden Testpersonen im Kernspintomographen unterschiedliche Logos oder Werbespots gezeigt und gleichzeitig werden die Aktivitäten der verschiedenen Gehirnbereiche gemessen. Anhand dessen kann man beispielsweise beobachten, welche Sinneskanäle am besten für die Übermittlung von Produktinformationen geeignet sind und ob ein Werbekonzept die gewünschte Emotionalisierung erreicht.
Dank dieses Blicks hinter die Kulissen wissen wir nun, dass Werbebotschaften mit Gesichtern besser in Erinnerung bleiben, da sie stärker mit Gefühlen und Gedächtnisbildung in Verbindung gebracht werden. Außerdem werden emotionale Informationen besser abgespeichert und sind auch schneller wieder abrufbar.
Doch was bedeutet dass nun für werbetreibende Unternehmen?
Gibt es einen oder vielleicht mehrere Knöpfe im Kopf die Unternehmen drücken müssen, damit ein Kunde sie klar einer anderen Marke vorzieht? Ganz so einfach ist es auch mit Hilfe von modernsten Hirnforschungsmethoden bei weitem nicht. Nur weil eine Marke oder eine Werbung das Belohnungszentrum anspricht, laufen Konsumenten nicht automatisch los und räumen die Regale leer. Aber Neuromarketing ist mit Sicherheit ein Meilenstein auf dem Weg zum Verständnis der 95 unterbewussten Prozent, die das Leben eines jeden von uns bestimmen. Eine besonders wichtige Erkenntnis für alle Werbetreibenden lautet: Produktspezifisches Denken, wie die Fixierung auf den USP, fasst deutlich zu kurz. Der Mensch und seine Emotionen müssen im Vordergrund stehen und geben auch bei der Präferenzbildung die entscheidende Richtung vor. Unternehmen sollten also zukünftig in ihrer Kommunikation eher auf sogenannte Motions Points© setzen. Dabei handelt es sich um Ankerpunkte, die eine emotionale Relevanz für den Konsumenten erzeugen. Diese Motions Points sind so etwas wie ein limbischer Turbo, der Produkte für uns erst zu einem Erlebnis werden lässt.
Storytelling als emotionaler Leitfaden
Für die Kommunikation mit dem Kunden heißt es zukünftig also Botschaften zu adressieren die emotional gebildete Bedürfnisse und Interessen der Konsumenten aufgreifen. Ein Tool das durch diese Erkenntnisse klar an Bedeutung gewinnt ist Storytelling. Besonders im digitalen Bereich sind Unternehmen immer stärker gefordert Geschichten rund um ihr Produkt zu erzählen, die Menschen und ihre Emotionen ansprechen. Geschichten bilden den Rahmen für Emotional Branding und sind damit auch zukünftig die Gewinner, wenn es darum geht unser Bauchgefühl zu erobern.
Was sagt ihr zum Thema Neuromarketing? Glaubt ihr, dass diese Disziplin die Art wie Marketing betrieben wird tiefgreifend verändert?
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