Ich beschäftige mich seit 2 Jahren damit, was man als Mitarbeiter tun kann, um die bisher getrennten Bereiche Arbeit und Leben miteinander verschmelzen zu lassen und bin dabei selbst sehr oft an meine Grenzen gestoßen. Funktioniert Work-Life-Blending auch für Mitarbeiter oder ist es ein Konzept, dessen volles Verständnis jenen vorbehalten ist, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben?
Work-Life-Blending – was soll das sein?
Bevor ich zu Liechtenecker kam, hatte ich nicht wirklich eine Meinung zu dem Thema Work-Life-Balance, geschweige denn zu Work-Life-Blending, zumindest keine bewusste. Im Nachhinein wird mir klar, dass ich eine sehr stark Work-Life-Balance getriebene Einstellung zur Arbeitswelt hatte. In der Schulzeit mussten wir auch nach der offiziellen Zeit in der Klasse zu Hause lernen, Hausaufgaben machen oder zur Nachhilfe gehen. Da der Tagesanteil den man effektiv in der Klasse verbrachte allerdings kaum mit Bürozeiten zu vergleichen war, blieb meist immer noch genug Zeit für Dinge, die einem Spaß machten. Trotzdem kann ich mich noch gut erinnern wie genervt ich war, wenn ich am Wochenende viel lernen musste. In solchen Momenten freuten wir uns auf die Arbeitswelt, denn auch wenn man länger arbeitet, hätte man wenigstens, wenn man nach Hause kommt „seine Ruhe“. Das war die durchgängige Meinung, die schon früh mein Bild von der Arbeitswelt prägte. Ironischerweise hat mir mein Vater gleichzeitig Work-Life-Blending in seiner reinsten Form vorgelebt. Als Selbstständiger konnte er sich seine Arbeitszeit frei einteilen, ging aber auch im Urlaub ans Telefon, wenn ein Kunde anrief, und arbeitete sehr oft am Wochenende. Er erklärte mir immer, dass es kein Problem für ihn sei, da ihm seine Arbeit Spaß mache. Seine Arbeit war in gewisser Weise sein Hobby und ich war mir sicher, dass auch nur das der Grund für seine Einstellung war. Heute weiß ich, dass es dazu nicht nur Leidenschaft, sondern auch Entscheidungskompetenz und Eigenverantwortung bedarf.
Entscheide dich
Als ich vor knapp zweieinhalb Jahren meine Karriere bei Liechtenecker startete, hatte ich noch immer keine eindeutige Meinung zu der Beziehung zwischen Arbeit und Leben, aber zumindest schon eine genauere Vorstellung von dem was ich nicht wollte. Ich wusste, dass ich nicht für wenig Geld und wenig Wertschätzung in einer Agentur eine Nachtschicht nach der anderen schieben wollte. Auf der anderen Seite war es für mich keine Option mich tagtäglich von 08.00-17.00 Uhr mit Dingen zu beschäftigen, die mir keinen Spaß machen und mich durch die Zeit zu „quälen“, bis ich nach der Arbeit endlich wieder den „Life-Mode“ anschalten kann. Ich war auf der Suche nach einem Job den ich gern mache, bei dem ich viel lernen kann und bei dem meine Arbeit wertgeschätzt wird. Freiheiten und Eigenverantwortung standen zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf meiner Liste.
Man fühlt sich gezwungen mehr zu machen und ständig erreichbar zu sein und ist nicht in der Lage die Freiheiten, die einem geboten werden vollständig zu nützen und zu genießen.
Herausforderungen
Bei Liechtenecker wurde ich dann überraschenderweise sukzessive mit immer mehr Freiheiten konfrontiert. Wir Mitarbeiter haben Stück für Stück mehr Eigenverantwortung in unserem Arbeitsalltag erhalten. Keine Kontrolle durch Big Brother, freie Einteilung der Arbeitszeiten, selbstverantwortliches Urlaubsmanagement und vieles mehr. Man sollte meinen, man nimmt solche Freiheiten als Mitarbeiter mit Kusshand an, aber so war es nicht. Einerseits sah ich es als große Chance, andererseits war ich sehr skeptisch. Diese Skepsis war auch nicht ganz unbegründet, denn es ist wahnsinnig schwierig und auch anstrengend, aus dem gewohnten Umfeld an Vorgaben auszubrechen und sein Arbeitsumfeld und seinen Arbeitsalltag selbst zu gestalten. Es sind kleine Dinge, die am Anfang zur großen Herausforderung werden. Soll ich mit meinem Freund telefonieren, wenn er mich in seiner Mittagspause anruft, obwohl ich eigentlich arbeiten sollte? Soll ich nach Hause gehen, wenn ich das Gefühl habe nicht mehr produktiv zu sein und weiter arbeiten, wenn ich wieder fit bin? Gerade bei der zweiten Frage stehe ich heute teilweise immer noch in einem inneren Kampf mit mir selbst. Man muss ständig kleine Entscheidungen treffen, die man vorher nicht treffen musste und sich selbst reglementieren, wenn man dazu tendiert es sich leicht zu machen. Ich weiß, dass sich das nach „jammern auf sehr hohem Niveau“ anhört, aber genau diese Unsicherheiten der Arbeitnehmer sind Barrieren, die uns an der Umsetzung von richitigem Work-Life-Blending hindern. Man fühlt sich gezwungen mehr zu machen und ständig erreichbar zu sein und ist nicht in der Lage die Freiheiten, die einem geboten werden vollständig zu nützen und zu genießen. Ich habe mich hier oft gefragt, wie mein Vater es gemacht hat und warum er es konnte. Die Antwort war eigentlich ganz klar: Er war für sich selbst verantwortlich. Er war der Chef, er war es einfach gewohnt Entscheidungen zu treffen und alles was man gewohnt ist, wird mit der Zeit weniger anstrengend. Mitarbeitern wurde diese Entscheidungskompetenz sehr lange abgenommen und daher ist es für sie auch viel schwieriger Entscheidungen zu treffen, die Work-Life-Blending auch für sie zum Erfolgsmodell machen.
Müssen vs. Wollen
Die in meinen Augen größte Herausforderung bei der Verschmelzung von Arbeit und Leben ist es abzuschalten: Wenn meine Arbeit Teil meines Alltags ist, habe ich sie auch ständig im Kopf. Das führt bei mir immer noch dazu, dass ich oft unter Druck stehe und mich so fühle als müsste ich rund um die Uhr abrufbereit sein. Darum ist es wichtig viel zu reflektieren und herauszufinden, welcher Arbeitstyp man ist. Ich bin einer von diesen Typen, die ungeliebte Aufgaben gerne vor sich herschieben. Ich neige also dazu diese Dinge dann ständig im Hinterkopf zu haben, bis ich sie endlich machen muss. Das ist natürlich absolutes Gift, wenn man abschalten will. Darum versuche ich nun die ungeliebten Arbeiten als erstes zu machen und bin dadurch auch freier im Kopf. Auch beim Abschalten geht es wieder darum Entscheidungen zu treffen. Denn es braucht auch Momente, in denen man einfach nichts tun muss, Momente in denen man einfach nur abschalten kann. Diese Momente zu brauchen und sie sich auch bewusst zu nehmen, sagt nichts darüber aus ob man seinen Job gern macht. Sie gehören dazu. Denn auch wenn man das, was man gern macht, IMMER machen MUSS, verliert man irgendwann die Freude daran. Es gibt Zeiten in denen man nicht erreichbar sein will und ich finde, wenn man das so kommuniziert ist das auch vollkommen in Ordnung. Ich genieße es im Urlaub mein Handy auszuschalten und nicht erreichbar zu sein. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich mich jetzt speziell von der Arbeit abschotten will, sondern weil Urlaub für mich auch eine kleine Auszeit von meinem Alltag ist. Auszeiten sind wichtig, damit das WOLLEN nicht zum MUSS degradiert wird.
Eine gemeinsame Vision zu haben und an diese zu glauben, trägt neben dem Spaß an der Arbeit selbst, immens zur eigenen Motivation bei.
Gemeinsame Visionen schaffen
Das MUSS ist außerdem ein ziemlich großer Felsbrocken auf dem Weg zwischen Arbeit und Leben. Mir ist klar, dass es viele Tätigkeiten in der Arbeit, aber auch im Alltag (Putzen oder Bügeln sind die Top 2 meiner Liste an ungeliebten Tätigkeiten) die man nicht unbedingt machen will, aber einfach machen muss. Trotzdem ist gerade im Arbeitsalltag das MUSS leider immer noch der Unterdrücker des WOLLENS. Vineet Nayar, der frühere CEO von HCL hat in seinem TEDx Talk „Employees first, customers second“ eine sehr spannende Frage gestellt: „Warum investiert ein Arbeitnehmer an einem Sonntag Zeit, Geld und Energie, um in eine Moschee, einen Tempel oder eine Kirche zu fahren und fühlt sich gut dabei. Und warum bekommt der gleiche Arbeitnehmer Geld dafür, dass er am Montag Morgen in unser Unternehmen kommt und fühlt sich schlecht dabei ?“ Seine Antwort ist, dass Unternehmen eine Vision und einen Zweck für sich selbst verfolgen und nicht für ihre Mitarbeiter. Ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass es unglaublich wichtig ist, sich mit dem identifizieren zu können was man macht. Eine gemeinsame Vision zu haben und an diese zu glauben, trägt neben dem Spaß an der Arbeit selbst, immens zur eigenen Motivation bei. Wenn man seine persönlichen Ziele mit denen des Unternehmens vereinen kann, ist die Brücke zwischen Arbeit und Leben schon einmal geschaffen. Man darf nur keine Angst haben sie zu überqueren.
Die Realität ist nun einmal, dass wir einen Großteil unseres Lebens mit arbeiten verbringen und diese Arbeit auch sehr erfüllend sein kann, wenn das Wollen überwiegt.
Um meinen persönlichen Erfahrungsbericht zu diesem Thema abzuschließen, ist es mir noch wichtig zu sagen, dass ich Work-Life-Blending als große Chance sehe. Die Realität ist nun einmal, dass wir einen Großteil unseres Lebens mit arbeiten verbringen und diese Arbeit auch sehr erfüllend sein kann, wenn das Wollen überwiegt. Work-Life-Blending gibt uns die Chance diese Zeit so zu gestalten und zu timen, dass sie am besten in unser Leben passt. Wir können aus den Strukturen, die uns auferlegt wurden ausbrechen und Raum für neue Ideen und Entwicklung schaffen. Das Problem ist, dass es eben nicht so leicht ist, wie man es sich vorstellt. Es benötigt persönliche Weiterentwicklung, Umdenken und ist ein ständiges Verlassen der Komfortzone. Außerdem sind die Firmen, die Work-Life-Blending umsetzen, immer noch in der Minderheit in Österreich und daher muss man sich ziemlich oft erklären ;-). Doch auch hier findet ein Umdenken statt, da viele Unternehmen längst die Innovationskraft die hinter dem Modell steckt erkannt haben. Bei Angestellten werden hier mit Home-Office, freier Zeiteinteilung etc. schon Maßnahmen gesetzt. Spannend wird es nun sein, ob sich das Konzept auch bei Arbeitern, die an Öffnungszeiten gebunden sind, umsetzen lässt und welche Modelle sich hier noch entwickeln werden.
Ich bin sicher, dass ich mich noch sehr oft ärgern und mich in die Komfortzone eines klassischen Arbeitsverhältnisses zurücksehnen werde, aber ich habe auch gelernt, dass es nicht die leichten Veränderungen sind, die mich wirklich weiter bringen. Darum bleibt ich dran ;).
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