Wir bei Liechtenecker haben uns User Experience von digitalen Produkten und empathisches Design als großes Kernthema umgehängt. Also ganz kurz gesagt, wir konzentrieren uns stark darauf Wege zu finden, wie wir es bei Usern schaffen, richtige Glücksgefühle zu erzeugen. Darum haben wir in letzter Zeit schon viel darüber geschrieben. Meine Kollegin Andrea hat auch auf unserer letzten #DIV einen wunderbaren Vortrag darüber gehalten. Menschen mit dem, was man kann, glücklich zu machen, ist eine einzigartige tolle Sache. Allerdings läuft das sicher besser, wenn man auch selbst für sich glücklich ist – was heutzutage, in eine Welt voller Stress und Zeitdruck dann doch nicht mehr als selbstverständlich gilt. Knappe Deadlines und horrende Stapel an Aufträgen können speziell bei uns Kreativen dafür sorgen, dass die einstige Liebe in unserem Tun ins wanken Gerät, die Leidenschaft verblasst und man selbst zur Geissel seines Talents wird.
Das hat auch Stefan Sagmeister bereits vor langer Zeit erkannt, der sich neben seiner Arbeit als Grafik Designer und Künstler seit nun ca. 10 Jahren damit beschäftigt, was man tun kann, um das Glück in seinem Leben zu finden. Stefan Sagmeister braucht man eigentlich nicht vorzustellen. In der Designszene ist er, als Österreichs Aushängeschild der internationalen Kreativbranche, schon fast jedem ein Begriff. Wer ihn jedoch nicht kennt:
Stefan wer?
Stefan Sagmeister ist Grafik Designer, Typograph, Künstler und sogar ein bisschen ein Philosoph. Geboren wurde er 1962 in Bregenz und studierte später in Wien als auch New York. Er erlangte, unter anderem für seine Arbeiten für die Rolling Stones, Lou Reed, The Talking Heads und das Guggenheim-Museum, zahlreichen Applaus. In seiner bisherigen Laufbahn wurde er zudem sechsmal für den Grammy nominiert und konnte ihn zweimal sein Eigen nennen. Heute führt er zusammen mit der wunderbaren Designerin Jessica Walsh das gemeinsame Studio Sagmeister&Walsh in New York. Wer die Pracht der Arbeiten dieser beiden Koryphäen noch nicht gesehen hat, einfach mal danach googlen oder instagramen und staunen.
Alles klar, weiter bitte
Wie gesagt, beschäftigt sich Stefan seit ungefährt 10 Jahren damit, wie man als Designer glücklich wird und bleibt, reist dabei um die Welt, experimentiert und forscht, gibt seine Erkenntnisse in Vorträgen weiter, lässt sie in seine Arbeiten einfließen oder gänzlich neue daraus entstehen. Wie beispielsweise sein „The Happy Film“, an dem er nun sechs Jahre lange gearbeitet hat und welcher wiederum dafür gesorgt hat, dass ein weiteres Projekt, eine Ausstellung, ins Leben gerufen wurde – „The Happy Show“. Diese Ausstellung gastiert nun bei uns in Wien im Museum für angewandte Kunst. Sie wurde letzte Woche Dienstag (27.10.) eröffnet und ist bis 28. März 2016 zu bestaunen. Anlässlich dazu hielt Stefan als Einstimmung am MAK Open Day seinen Vortrag „Happiness“. Und wenn der werte Herr schon mal in Wien zu Besuch ist und zu einem Vortrag lädt, lassen wir uns das natürlich nicht entgehen. Und so machten sich meine Kollegin Andrea und ich letzten Montag auf den Weg ins schöne MAK um Stefan zuzuhören, was er uns über „Happiness“ erzählen mochte.
Sabbatical – Ich bin dann mal weg
Ich selbst hatte schon einmal in Graz das Vergnügen Stefan sprechen zu hören, damals im Mai 2012 in den Kasematten am Grazer Schlossberg. Auch dort sprach er schon von sich als Designer auf der Suche nach Glück. Zentrales Thema war in diesem Vortrag sein Sabbatical. Stefan ist der Ansicht, das ihn ein typisches Leben nach dem Schema – 25 Jahre lernen, 40 Jahre arbeiten und dann mit 65 entspannen und das Leben genießen, solange bis man eben das zeitliche segnet – nicht wirklich glücklich macht. Er dachte sich, warum nicht einfach ein paar Jahre aus dem letzten Drittel der Lebenszeit stibitzen und die mittlere Phase damit würzen? Alle sechs Jahre wird nun die Agentur für 12 Monate geschlossen, um in dieser Phase Eigenprojekten nachzugehen, um zu reisen, sich inspirieren zu lassen und Kraft und Energie für die nächsten sechs Jahre zu sammeln. Kostet natürlich einiges an Mut und kann sich sicherlich nicht jeder in seiner Lebenssituation leisten, doch für ihn ist es sein Rezept um innovativ zu bleiben, die Leidenschaft an seinem Beruf nicht zu verlieren, diesem noch mehr Sinnhaftigkeit zu verleihen und Burnouts zu entgehen.
In der gleichen Ausprägung werden die meisten von uns so ein Sabbatical sicher nie leben können. Doch wir können uns eins davon abschauen: Um unsere Fähigkeiten zu verbessern, Innovativ zu bleiben, Neues auszuprobieren und die Freude an dem was wir tun aufrecht zu erhalten, sollten wir uns auch Zeit für uns selbst nehmen, um an uns selbst zu arbeiten und eigene Ideen zu verfolgen. Davon profitieren wir selbst, unsere Arbeit und am Ende unsere Kunden und User.
Es war insgesmat ein tolles und inspirierendes Erlebnis zu hören und zu sehen was er zu sagen und zu zeigen hatte, und deshalb freute ich mich schon sehr Stefan jetzt wieder anzutreffen. Vor allem hoffte ich diesmal auch seine Studio Partnerin Jessica Walsh zu sehen, eine begnadete Grafik Designerin mit feuriger Leidenschaft für Photography, Skulpturen, Malerei und Motion Design. Ihre Arbeiten und Experimente haben einen einzigartigen Stil, unverkennbar und atemberaubend schön – für mich ist sie eine wahre Göttin.
Der Vortrag
Der Vortrag in Wien begann um 16 Uhr, bereits um drei standen die ersten Anhänger von Sagmeister vor dem Saaltor und bis um vier stand man schon bis vor den Eingang hinaus in einer Schlange. Die Schlange haben wir jedoch gekonnt ignoriert und schleusten uns ungeniert ganz nach vorne durch. (Sorry, aber für die Chance, Jessica Walsh einmal live zu sehen sind mir alle Mittel recht 😉 ) So konnten wir auch einen Platz in den vordersten Reihen im Saal ergattern, der sich innerhalb von 2 Minuten gänzlich füllte.
Leider dann doch keine Jessica weit und breit, dafür ein gut gelaunter Stefan Sagmeister mit seinem überaus sympathischen Vorarlberger Akzent.
Zu Beginn zeigte uns Stefan Ausschnitte aus „The Happy Film“. Die einzelnen Clips waren vollgepackt mit seinem Talent als graphischer Künstler, emotionaler Intensität und ästhetischer Perfektion. Man fällt gerade zu in Trance und es entschleunigt und beruhigt ungemein wenn man sieht, wie er Typographie mit organischen Objekten zum Leben erweckt.
Danach stellte er uns Ausschnitte seiner Ausstellung „The Happy Show“ vor. „The Happy Show“ ist eine interaktive Ausstellung. Videos, Kunst-Installationen, Infografiken, Illustrationen und vieles mehr sind in allen Winkeln der Ausstellungstätte verteilt, angebracht und verbaut. Vieles ladet die Besucher selbst zum Experimentieren ein, wie beispielweise ein Automat, der Karten mit Handlungsanweisungen ausspuckt, die man auf der Stelle ausführen soll, Typographie-Installationen deren Farbanimationen sich dann verändern, wenn man sie belächelt oder 10 nebeneinander stehende Säulen aus denen Kaugummis gedrückt werden können, wobei jede der Säulen für einen Happiness-Wert auf einer Skala von eins bis zehn steht.
Stefan erklärte den Entstehungsprozess der Show, erzählte von der konzeptionellen Phase bis hin zur ihrer Installation in den Räumlichkeiten, über das Filmen der Introsequenzen und auf welche Resonanzen er in den verschiedenen Ländern zu seiner Show gestoßen ist, in denen sie bisher zusehen war.
Die Zutaten von „The Happy Show“
Die gesamte Ausstellung dreht sich um die Erkenntnisse seiner 10-jährigen Forschung zum Thema „Glücklich sein“.
Hervorgebracht wurden diese einerseits durch eine Umfrage die 600.000 Menschen, quer über den Globus verstreut, involvierte. Hier hat sich herausgestellt, dass unsere Grundlebensbedingungen nur zu ca. 10% ausschlaggebend für unsere vollkommene Zufriedenheit sind. So hat z.B. das Klima keine wirkliche Auswirkung auf unseren Glückszustand, Menschen mit weißer Hautfarbe sind genauso glücklich wie die mit schwarzer, ältere Menschen sind etwas zufriedener als junge, nicht so schöne genau so wie schöne. Sozial Aktive mit vielen Freunden sind glücklicher als die die wenige haben, Religöse ebenfalls etwas glücklicher gegenüber den Nicht-Religiösen, sowie die Verheirateten gegenüber den Singles. Also eigentlich bisher alles ziemlich logisch – mit oder ohne Studie.
Daher wurde auch ausgiebig mit Psychologen diskutiert und philosophiert. Laut diesen hängt die Fähigkeit glücklich zu sein zu 50% von den Genen ab die man vererbt bekommt. Die anderen 50% müssen ein wenig nachhelfen.
Deshalb experimentierte Stefan auch noch mit Meditation, kognitiver Therapie und Drogen, im konkreten Psychopharmaka.
Die Kernhypothese die „The Happy Show“ zugrunde liegt ist die „The Happiness“ Hypothese des Psychologen Jonathan Haidt. Sie besagt, dass wir die eigene Zufriedenheit über uns dann erreichen, wenn wir es schaffen dass wir mit unserem Bewusstsein unser Unterbewusstsein steuern können. Veranschaulicht wurde das mit einem Bild, auf dem ein Mann zu sehen war, der auf einen Elefanten ritt. Der Mann symbolisierte das Bewusstsein, der Elefant das Unterbewusstsein.
Wann, wie und warum man glücklich wird und bleibt – eine allgemeine Formel dazu gibt es nicht. Zu unterschiedlich sind die Ansprüche und Vorstellungen und Zustände von Person zu Person und von Kultur zu Kultur. Auch der Versuch das Glück an sich zu definieren, ist extrem schwierig. Zu komplex ist das Glück mit all seinen vielfältigen Ausprägungen.
Dennoch ist Stefan der Ansicht, dass man das Glück in Zeitspannen einteilen kann.
Die 3 Zeitspannen des Glücks
So gibt es
- Das kurze Glück, der Glücksmoment der nur wenige Sekunden dauert. Den Orgasmus zählt Stefan in diese Kategorie.
- Das mittlere Glück, die Zufriedenheit die ein paar Stunden bzw. Tage dauert, z.B. ein gemütlicher Sonntag auf der Couch oder ein Kurzurlaub
- Das lange Glück „fulfilling one’s potential“. Das erreicht man, wenn man das im Leben findet und macht das man gut kann.
Gemeinsam haben die drei Dinge wenig miteinander zu tun, doch jedes einzelne ist Teil des Überbegriffes „Glück“.
Stefan lässt uns dabei an seinen persönlichen Methoden teilhaben, die ihm helfen, Glück für sich in diesen Kategorien zu finden und überlässt sie uns zugleich als Anregung für uns selbst.
If I don’t ask, I don’t get
Ein Lebensmotto von einem Freund von Stefan, dass er sich ausgeborgt hat. Wenn du etwas möchtest, dann frag danach. Wenn du nicht nach etwas fragst, dass du haben möchtest, dann wird sich auch keine Möglichkeit auftun es zu bekommen. Es wird nur das Gefühl bleiben von „Ich würde gerne…“ oder „Hätte ich bloß…“, was nicht wirklich ein positives ist.
Do the things you set out to do
Dinge die man sich vornimmt, sollte man auch erledigen. Egal was es ist. Wenn man in den Tag hineinstartet, mit Zielen die man an diesem erreichen oder Dinge die man tun möchte, das aber nicht erledigt, bleibt am Ende des Tages ein ungutes Gefühl. Häuft sich das an, kann das zu einem sehr negativen Gefühl führen.
Unternimm was, sei spontan, aber wiederhole dich nicht
Auf Reisen gehen, einen Roller besteigen, gute Musik hören und unbekannte Strassen befahren – das sind Aktivitäten, die Stefan Sagmeister immer zu Glücksmomenten verhelfen. Wir sollen ähnliches machen, ganz egal was, wichtig ist nur, dass es spontan ist, und sich nicht wiederholt und ein Gewöhnungseffekt entsteht. Dann geht das Prickeln der Aktivität verloren.
Reflektiere den Tag
Am Abend bevor man ins Bett geht soll man sich drei Dinge überlegen, die einem am Tag gut gelungen sind. Das können auch ganz kleine Dinge sein. Es geht nur darum das Negative aus dem Tag auszublenden.
Es hat wieder einmal irrisinnig Spass gemacht Stefan zuzuhören und uns einiges an Inspiration und Anregungen für uns selbst mitgegeben. Auch einen Besuch der „Happy Show“ blicken wir mit Freuden entgegen.
Finale
Den Vortrag beendete Stefan mit einer kurzen Zusammenfassung über das, was uns generell glücklich macht:
- Viele Freunde
- Gute Freunde
- Spontante, sich nicht-wiederholende Aktivitäten
- Das Wissen und Gefühl, etwas Sinnvolles geschafft zu haben
- Religon
- Das Singen in der Gruppe
Das Singen in Gruppen? Ja genau. Du hast dich nicht verlesen und wir uns nicht verhört. Das Singen in Gruppen beschere uns Glücksgefühle. Immer. Funktioniere aber nur dann, wenn jeder und jede volles Rohr rausbrüllt. Und so lud uns Stefan zum Abschluss ein, gemeinsam mit ihm die „Ode To Joy For Creatives“ zu singen. Und es hat wirklich funktioniert :).
Lust es auch zu versuchen? Such dir das Finale von Beethovens Ode an die Freude, 9. Sinfonie, hier der Text dazu, viel Spass! @Jessica, ich gebe nicht auf.
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