Oft messen wir der Interaktion mit unseren Geräten keine Bedeutung zu. Was am Anfang vielleicht noch ungewohnt wirkt, wird innerhalb kürzester Zeit selbstverständlich. Bedenkt man, wie kurz wir unsere Geräte eigentlich erst mit Touchbedienung steuern und wie archaisch heutzutage Handys mit Tastatur wirken, ist der Siegeszug von Touchdisplays in den letzten zehn Jahren umso erstaunlicher.
Oft vergessen Entwickler aber trotzdem, dass viele spätere Nutzer einer Website nichtmehr mit Tastatur und Maus vor dem Bildschirm sitzen und die Seite bedienen. In diesem Beitrag möchte ich kurz auf Vor- und Nachteile von Touch gegenüber klassischeren Bedienformen eingehen und aufzeigen, dass wir lang noch nicht alle Herausforderungen und Möglichkeiten der Fingerbedienung gelöst und erkannt haben.
Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, als ich das erste touchfähige Device in den Händen gehalten habe. Das genaue Jahr weiß ich nicht mehr, es muss aber kurz nach der Jahrtausendwende gewesen sein. Mein Onkel kaufte sein erstes touchfähiges Navigationsgerät für das Auto und lies es mich einrichten und testen. Ganz genau kann ich mich auch noch an die Enttäuschung erinnern. Das Gerät basierte damals noch auf einem resisitiven Bildschirm (das ist der Typ von Touchscreen, der sich verformen muss um den Input des Users zu registrieren). Man musste schon relativ kräftig auf das Display drücken – Verformungen und buntes Pixelquetschen inklusive – um wirklich eine Reaktion durch das Gerät zu bekommen. Ich war abgeschreckt und vermied Touchscreens nach Möglichkeit. Die Entwicklung blieb natürlich nicht stehen und immer bessere, billigere Touchscreens hielten in Consumerprodukten Einzug.
Das nächste Mal hatte ich bewusst erst wieder mit meinem ersten iPhone ein touchfähiges Device in der Hand. Der Unterschied war enorm: kapazitives Display (ohne Verformungen und schlieren), Multitouch und Touchgesten überzeugten schließlich auch mich von der Eingabe mittels Touch.
Fast Forward 2015: nach vielen schwierigen Jahren für die PC-Industrie und stetigem Wachstum von Smartphones und Tablets gibt es einen klaren Sieger im Duell klassische Eingabemethoden (Maus, Tastatur) und Touch: Die Verkäufe von Mobilgeräten überflügeln mittlerweile die Verkäufe von klassischen Computern bei weitem – und selbst diese werden durch Windows 8 & 10 mittlerweile ebenfalls mit touchfähigen Displays ausgeliefert.
Die Vorteile von der Bedienung mit dem Finger scheinen zunächst klar:
- Sie wirkt „natürlicher“, weil Objekte am Bildschirm direkt beeinflusst werden können und nicht über Maus oder Tastatur angewählt werden müssen (auch wenn die Benutzung einer Maus schon nach weniger Zeit erlernt werden kann).
- Durch den Wegfall von Tasten kann bei gleicher Größe mehr Platz für den Bildschirm genutzt werden, was natürlich vor allem bei Smartphones wichtig ist.
- Die angezeigten Bedienelemente können dynamisch erzeugt und an die jeweilige Gegebenheit angepasst werden. Eine Eingabemaske, in der nur Zahlen erlaubt sind, kann dadurch eine Tastatur öffnen, die auch nur Zahlen zur Verfügung hat. Das erhöht die Usability und ermöglicht zudem neue Eingabekonzepte wie Swiftkey, bei dem durch Zeichnen von Mustern auf der Tastatur Wörter schneller getippt werden können.
- Mobile Geräte werden immer dünner. Zunächst war dieser Umstand durch die Hardware selbst eingeschränkt. Immer leistungsfähigere Chips auf immer kleinerem Raum machten mit der Zeit immer dünnere Geräte möglich. Heutzutage sind die limitierenden Faktoren aber eher Anschlüsse (nicht ohne Grund benutzt Android Standardmäßig MicroUSB und Apple den Lightning Anschluss), Gehäuse und physische Tasten. Während bei Android schon bei vielen Geräten nur noch virtuelle Home-Tasten zum Einsatz kommen ist es auch beim iPhone nur noch eine Frage der Zeit, bis der Home-Button durch ein virtuelles Pendant ausgetauscht wird.
- Einen weiteren Vorteil bei der Bedienung hat die Erfindung von Multitouch gebracht. War davor die Bedienung mit nur einem Finger möglich, wurden durch Multitouch auch Gesten (z.B. die Pinch-Geste um bei Karten und Bildern zu zoomen) möglich.
Die Nachteile von Touchbedienung sind auch nicht von der Hand zu weisen:
- Anders als bei Eingaben mit der Tastatur kann ein glatter Bildschirm aus Glas kein haptisches Feedback geben, ob die Taste getroffen wurde. Einige Android Smartphone versuchen dies zwar mit einem kurzen vibrieren auszugleichen, dass ersetzt das wirkliche Gefühl, eine Taste zu treffen aber nicht.
- Viele Eingabekonzepte, die früher mit der Maus und Tastatur funktioniert haben, sind mit Touch schwer denkbar. Dass hat vor allem damit zu tun, dass es auf einem Touchdevice keine rechte Maustaste gibt. Jeder klick mit dem Finger entspricht einem Linksklick – der Rechtsklick mit z.B. zwei Fingern konnte sich bisher nicht etablieren.
- Ein weiterer und vielleicht der größte Nachteil ist, dass die Finger jedes Menschen unterschiedlich sind. Natürlich müssen Bedienelemente auch mit großen Fingern gut funktionieren. Touchoberflächen wirken daher immer sehr verschwenderisch, weil Buttons und andere Eingabeelemente – verglichen mit Applikationen die mit der Maus bedient werden – sehr sehr groß ausfallen müssen. Auch das Problem, dass UI Elemente während dem Klick oft nicht gesehen werden können, weil der Finger drüber liegt, fügt weiter Komplexität zu diesem Problem hinzu.
† :hover
Gerade bei Webseiten ist der :hover-State, also der Status eines Elements, wenn der Mauszeiger darüber liegt sehr populär. Oft werden Zusatzinformationen zu dem ausgewählten Element angezeigt, Animationen abgespielt oder wichtige Informationen gegeben. Da es auf Touch-Devices aber keinen Mauszeiger gibt und es auch (noch) nicht möglich ist, zu erkennen, ob der Finger über dem Element schwebt, werden wir uns über kurz oder lang von diesem viel benutzten Helfer verabschieden müssen.
Touch – der Tod des Power-Users?
Ein weiteres Problem zeigt der Touchbedienung zeigt sich bei professionellen Anwendern. Während die Bedienung bei einfachen Arbeiten wie z.B. Urlaubsfotos bearbeiten leicht von der Hand geht, wäre es für viele Designer unvorstellbar, Photoshop ausschließlich mit dem Finger zu bedienen. Dies gilt natürlich für alle komplexen Arbeiten an Computern, sei es Videoschnitt, Dateimanagement oder der Umgang mit anderer Software. Besonders hier sind noch viel Arbeit und neue Bedienkonzepte notwendig, um in Zukunft auch hier ohne Maus auszukommen.
Die Zukunft
Touchdisplays werden derzeit stark erforscht und weiterentwickelt. In Zukunft soll es z.B. Force-Touch (momentan nur auf der Apple Watch) auf iOS-Geräten möglich machen, andere Aktionen bei leichterem und festerem Tap auszuführen. Auch wirkliches, haptisches Feedback durch verformbare Touchscreens (siehe Video).
Für Interaktionsdesigner bieten diese neue Möglichkeiten hohes Potential für Interfaces, mit noch höherer und besserer Usability. Die Zukunft wird auf alle Fälle spannend.
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