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Domestizierung von Technologie

7. März 2019, von Maja
Domestizierung von Technologie

Unsere Beziehung zu Technologie ist schon eine wunderliche. Wir sehen sie als Allheilmittel, das jedes unserer Probleme lösen kann, und wenn wir an unsere Zukunft denken, sehen wir nur Technologie: Automatisierung, die uns die Arbeit abnimmt, Künstliche Intelligenz, die uns alle unnötigen Entscheidungen abnimmt, echtes Fleisch aus dem Labor oder auch Steuerung per Gedanken. Tagtäglich verwenden wir verschiedenste Technologien die unseren Alltag vereinfachen sollen und gleichzeitig aber auch unser Leben und unsere Welt beeinflussen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Damit unsere technologische Zukunft auch eine wünschenswerte Zukunft wird, ist es wichtig, dass wir wirklich verstehen, wie sich Technologien entwickeln und welche Rolle sie in unserem Leben spielen. Deswegen widme ich mich in diesem Blogbeitrag der Domestizierung von Technologie. Das klingt erstmal lustig – Domestizierung wie von wilden Wölfen zu picksüßen Schoßhunden? Ja so ungefähr funktioniert das auch mit Technologie, nur etwas anders 😉

Domestizierung von Technologie – 3 Stadien

Eigentlich ist das Prinzip dahinter ziemlich logisch: Zuerst fangen Einzelpersonen oder kleine Gruppen an, eine neue Technologie zu entwickeln. Sie entscheiden welches Ziel diese Technologie verfolgt. Mit der Zeit findet sie sich im Alltag jedes Menschen wieder und wird nach den Bedürfnissen der Gesellschaft geformt und fängt somit auch an, die nächste Generation an Technologien mitzugestalten. So wurde zum Beispiel GPS in erster Linie für das Militär entwickelt und erst später für die Zivilbevölkerung freigegeben. Nun haben wir Google Maps und können uns eine Welt ohne  gar nicht mehr vorstellen, wenn wir ehrlich sind. Oder auch Computer, die zuerst Regierungen und Universitäten gedient haben und nun speziell für Gamer, Entwickler oder auch Designer maßgeschneidert werden. Wird eine neue Technologie präsentiert, herrscht erst einmal Euphorie über die glanzvollen Möglichkeiten, die sie mit sich bringt bzw. ein seltsames Unwohlsein über das neue Fremde. Dann wird sie eingesetzt und ihre Potenziale entfalten sich, die grandios aber auch als Horror empfunden werden können. Letztendlich gewöhnen wir uns so stark an die nicht mehr so neue Technologie, dass sie für uns ganz normal, fast unsichtbar wird und sich in unsere Kultur einpflegt. Sie ist domestiziert. So war es zum Beispiel auch bei Videospielen: Anfangs wurden die glanzvollen neuen Möglichkeiten gefeiert, wie bspw. das Potenzial, die Koordination zwischen Händen, Augen und Gehirn zu fördern. Danach hat man sich mit den aufkommenden negativen Implikationen beschäftigt, wie Spielsucht, Fettleibigkeit oder auch die Angst vor der Verharmlosung von Gewalt. Letztendlich sind Videospiele zur Normalität geworden, fester Teil unseres sozialen Lebens und somit domestiziert.

Pyramid of Technology – 7 Schritte

Das Next Nature Network hat ein Modell namens „Pyramid of Technology“ entwickelt, in dem sie den Entwicklungsstadien von Technologie noch genauer auf den Grund gehen. Bei ihnen beginnt es in der untersten Stufe der Pyramide mit der Idee und erreicht die oberste Stufe erst wenn wir eine Technologie überhaupt nicht mehr als solche wahrnehmen, sondern denken, sie wäre Teil unserer Natur. Dazwischen befinden sich noch 5 weitere Schritte – lasst uns die ganze Pyramide unter die Lupe nehmen:

Pyramid of Technology by Next Nature
© Next Nature Network
  • 1. Envisioned

Auf der untersten Stufe befinden sich Technologien, die nur als Idee existieren. Zuerst gibt es den Traum einer Technologie, die im Kopf eines Menschen entsteht. Es ist der Geburtsort der Technologie. Manche Ideen schaffen es schnell weiter aufzusteigen, doch manche stecken für lange Zeit auf dieser Ebene fest, da sie (noch) nicht produziert werden können, wie etwa Teleportation oder auch Zeitreisen – Träume, denen wir schon sehr lange nachjagen. Dieses Traumstadium ist das Zuhause von vielen Künstlern, Science Fiction Schriftstellern und Visionären.  

  • 2.Operational

Auf der zweiten Stufe existiert ein Prototyp, der unter bestimmten Bedingungen funktioniert, aber noch weit weg davon ist, weitgehend anwendbar zu sein und wohl kaum gesellschaftlich akzeptiert wird. In-Vitro-Fleisch befindet sich zum Beispiel auf dieser Ebene: Es ist machbar, es gibt auch schon verschiedene Prototypen, doch die Prozedur dahinter ist noch sehr aufwändig und kostspielig. Um zur nächsten Stufe zu gelangen, braucht es an noch mehr Forschung. Diese Stufe ist die Spielweise von Universitäten, Forschungseinrichtungen, Garagen des Elternhauses, oder auch vom Militär.  

  • 3. Applied

Sobald es eine Technologie aus dem Laboratorium hinaus in die Gesellschaft schafft, hat es die dritte Stufe der Pyramide erreicht: Sie ist angewandt, zugänglich, bezahlbar (zumindest für manche) und fühlen sich noch neu, unbekannt und künstlich an. Ein Beispiel hierfür wären humanoide Roboter wie Pepper und seinesgleichen. Zurzeit sehen wir sie hin und wieder in verschieden Geschäften, doch langfristig sollen sie in unserem Zuhause Platz finden. Von einer Stufe zur nächsten zu klettern ist nicht so einfach wie man sich das vielleicht vorstellt. Google Glasses sind zum Beispiel hier gefangen geblieben. Nachdem sie einige ausgewählte Personen ausprobieren konnten, wurden sie aber von dem Großteil der Bevölkerung nicht angenommen und so konnten sie sich nicht weiter verbreiten. Manchmal rutschen Technologien auch wieder die Pyramide hinunter: Fax-Maschinen, Vinyl-Platten oder auch das Kerzenlicht – vereinzelt kann man sie noch auffinden, doch einst waren sie wichtiger Bestandteil unseres Alltages. Auf dieser Ebene toben sich die Entrepreneure aus.  

  • 4. Accepted

Sobald eine Technologie weit verbreitet ist, gesellschaftlich akzeptiert wird und Teil unseres alltäglichen Lebens wird, hat sie die vierte Stufe der Pyramide erreicht. Waschmaschinen, GPS, Mikrowellen – sie sind uns allen familiär, werden in großen Mengen produziert und auch schon standardisiert. Hier ist ein großer Schritt in der Wahrnehmung der Benutzer passiert, diese Technologien werden nicht mehr als „neu“, sondern als „normal“ betrachtet. Ab dieser Stufe entscheiden auch kulturelle Unterschiede, wo eine Technologie eingestuft wird. Ein Auto ist für einige ein essenzielles Fortbewegungsmittel, da es an Alternativen fehlt, und für andere ist es unnötiger Luxus, da unzählige Alternativen vorhanden sind. Dieses Level wird hauptsächlich von Designern und Marketing Experten bearbeitet, indem sie die einzelnen Technologien angenehmer gestalten und akzeptabler vermarkten.  

  • 5. Vital

Um zur fünften Stufe der Pyramide empor zu steigen, muss die jeweilige Technologie ein obligatorischer Teil unseres Lebens sein. Es ist für uns inzwischen sehr schwer ohne sie auszukommen, da sie fundamental in unser Leben eingebunden sind. Das Smartphone ist eine Technologie, die es sehr schnell geschafft hat, bis zu dieser Stufe hinaufzuklettern. Es ist nicht allzu lange her, dass wir überlegt haben, ob wir wirklich immer ein Telefon bei uns dabei haben müssen. Inzwischen ist es fast ein Teil unseres Körpers – wenn wir es nicht dabei haben, fehlt uns etwas. Ein anderes Beispiel ist die Kanalisation und die Wasserversorgung, von denen wir vor allem in Städten vollkommen abhängig sind. Nur große kulturelle Veränderungen oder Disruptionen können veranlassen, dass diese Technologien wieder die Pyramide hinunterfallen. Deswegen müssen wir auch gut überlegt entscheiden, welche Technologien diese Stufe betreten dürfen, bevor wir von ihnen abhängig sind, sie unsere Gesellschaft und das Leben der nächsten Generationen weitgehend verändern. Auf diese Ebene haben hauptsächlich politische Entscheidungsträger Einfluss.  

  • 6. Invisible

Ist eine Technologie auf der sechsten Stufe angekommen, wird sie nicht mehr als Technologie erkannt. Sie ist unsichtbar. Schreiben, Geld, Landwirtschaft, Kleidung – das sind alles Technologien, die sich in dieser Ebene befinden. Sie sind schon so sehr mit unserem Leben verwoben, dass wir sie nicht mehr als Technologie wahrnehmen und uns ein Leben ohne sie überhaupt nicht vorstellen können. Zwar müssen wir noch einiges an Zeit investieren, um sie als Kind zu erlernen bzw. zu verstehen, aber sie sind Teil unserer Existenz und unseres Unterbewusstseins. Die sechste Ebene liegt vor allem in der Verantwortung der Lehrer.  

  • 7. Naturalized

Die letzte Ebene, die eine Technologie erreichen kann, ist Teil unserer menschlichen Natur zu werden. Nicht viele Technologien schaffen es, dieses ultimative Level zu erreichen. Kochen ist so eine Technologie: Nicht die spezielle Art, wie man Essen zubereitet, sondern die Technologie des Erhitzens von Nahrungsmitteln. Durch die Möglichkeit, Nahrung zu kochen, konnten wir mehr Kalorien deutlich schneller und mit wesentlich weniger Verdauungsaufwand aufnehmen. Das führte dazu, dass sich das menschliche Gehirn weiterentwickeln und gleichzeitig der Verdauungstrakt und unsere Kiefer zurückbilden konnten. Die Entwicklung der Technologie des Kochens hat also sogar unsere Natur verändert. Doch wer ist für die Entwicklung dieser letzten Ebene verantwortlich? Vielleicht unsere Eltern, die uns all diese Technologien, die zur Basis unseres Lebens gehören, wie bspw. auch das Sprechen, beibringen.

Nutzen wir dieses Wissen aus

Mit dem Verständnis, wie Technologien sich wandeln und die Evolutionspyramide emporsteigen, können wir auch in den ersten Stadien schon kritisch hinterfragen, wie sich eine neue Technologie auf Leben, Kultur, Politik oder auch Ethik auswirken wird. Denn manche technologischen Neuerungen haben eine sehr limitierte Sicht darauf, was das Leben von uns Menschen definiert. Wir müssen hinterfragen, was eine Technologie noch alles machen werden kann, abseits dessen wie sie uns präsentiert wird. Und vor allem wie sie uns als Menschen verändern wird.  

THE MOST IMPORTANT QUESTION TO ASK ABOUT MODERN SOCIETIES IS THEREFORE WHAT UNDERSTANDING OF HUMAN LIFE IS EMBODIED IN THE PREVAILING TECHNICAL ARRANGEMENTS. Andrew Feenberg

 Je mehr eine Technologie domestiziert – also Teil unseres alltäglichen Lebens – ist, desto schwerer wird es, grundsätzlich noch etwas an ihr zu verändern, damit sie andere soziale Auswirkungen entfaltet. Beginnen wir aber schon in früheren Stadien uns zu überlegen, welche zukünftigen Auswirkungen eine bestimmte Technologie haben kann bzw. wird, so können wir den Prozess der Technologieentwicklung noch aktiv beeinflussen und dafür sorgen, dass nur jene Technologien aufsteigen, die wir auch gerne dort haben wollen. 

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Maja

Meine Rolle bei Liechtenecker: Design-Künstlerin, die es liebt über die Zukunft zu spekulieren Wenn es weder IT noch Digitalisierung gäbe, wäre mein Beruf: Soziologin oder Zukunftsforscherin Mein Herz schlägt für: Balkone mit Ausblick aufs Meer, Schwimmen und Schokolade
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